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Godard: Virtualität und Subjekt
Klaus Theweleit

Eröffnungs-Vortrag, gehalten auf dem Symposium 'Virtualität und Kontrolle' an der Hochschule für bildende Künste (HfbK) in Hamburg, 3-8 November 2008

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Die Audio-Datei des Vortrags [mp3, 99 min, 51,4 MB] auf dem HfbK-Server wurde transkribiert von Holly Dixon, unter Mitwirkung von Detlev Fischer (Dezember 2009).

Hier veröffentlicht mit mündlicher Billigung durch den Autor, Klaus Theweleit (Hamburg, Ü&G, 18. 01. 2010)

Mein zitiertes Unbehagen mit dem Begriff des Virtuellen dreht sich eigentlich gar nicht so sehr um dieses Wort selber, sondern darum, daß es vielleicht mal etwas Präzises hatte, aber inzwischen glaube ich einiges davon verloren hat. Unter anderem, davon werde ich sprechen. Von der Frage ausgehend, in dem bisher Gesagten, um Kontrolle: Welche Rolle spielt da, spielt da die Kunst? Was ist mit der Kunst? Warum Godard? Warum liegt es mir näher, über Godard zu sprechen, als über Deleuze? Näher, von Bildern auszugehen, als von philosophischen Überlegungen? Wobei Deleuze und Godard ja sehr verwandte Denker und Arbeiter sind, auf vielen Ebenen dokumentiert.

Die Godard Filme, Eloge de l'a,mour von 2000 und Notre Musique von 2004 sind wie alle Arbeiten des späten Godard Filme zum Verhältnis vom Wort und Bild und zum Verhältnis dieser Wörter und Bilder zu Handlungen, zu handelnden Personen im Sinne von Charakteren oder auch Subjekten. Ich möchte beginnen mit einem Ausschnitt aus Eloge d'Amour. Die Lichter von Autoscheinwerfern, Farbreflexen auf einer regennassen Windschutzscheibe, erzeugt von entgegenkommenden Fahrzeugen. Wir sehen diese Farben nicht, wenn wir im Auto sitzen beim Fahren. Würden wir hinschauen, gäbe es einen Unfall. Wir müssen uns auf den Verkehr konzentrieren. Aber die Kamera muß nicht, sie kann hinsehen, und zeigt uns Ungeahntes. Unter diesen Bildern läuft ein Dialog, einer der wichtigsten dieses Filmes, der mit diesen Bildern aber nichts zu tun hat. Ich lese Ihnen den Text vor, bevor wir das angucken.

Ein Mann und eine Frau sprechen:

Sie:
Sie sind nicht sehr gesprächig.
Er:
Es ist ziemlich schwierig für mich zur Zeit. Meine Freundin und ich haben uns getrennt. Wir waren zehn Jahre zusammen. Es ist übrigens merkwürdig, wie die Dinge Sinn bekommen, wenn sie zu Ende gehen.
Sie:
Weil in dem Moment die Geschichte beginnt, ganz auf sich bestellt.
Er:
Die Fee gehörte dem Frosch mit dem Zauberstab, und plötzlich war die Prinzessin da.
Sie:
Das Imperfekt erzeugt ein Bild der Gegenwart.
Er:
Jede Frage entweiht ein Geheimnis.
Sie:
Ihrerseits wird die Frage durch ihre Lösung entweiht. Es ist kein Zufall.
Er:
Was meinen Sie?
Sie:
Es gibt den Dienstboteneingang und den Haupteingang. Diese da betreten durch den großen Eingang die Wohnung der Welt und lassen uns den Dienstboteneingang. Sie, die Wörter.
Er:
Anhand unseres Sprachgebrauchs kommen wir zu dem Schluß, dass die Wörter uns Ideen repräsentieren.
Sie:
Der Mensch fabriziert Ideen. Er ist ein kühner Ideenfabrikant.
Er:
Die Situation, in der wir uns befinden, heute befinden, entspringt eben dieser Fähigkeit, Mademoiselle.
Sie:
Noch ein Wort. Kennen Sie den Satz von Augustinus: "Das Maß der Liebe ist maßlos lieben"?
Er:
Ja.

So, und jetzt gucken wir uns das, Französich und mit englischen Untertiteln, an.

. . . . . . . . . .

Wir sehen kein Gesicht--nur einmal kurz das der Frau, aber sonst--der Beteiligten bei diesem Dialog. Aber was haben wir gesehen? In den tanzenden, bunten Scheinwerferlichtern, im Rot des Bilds beim Durchfahren des Tunnels, nichts, was wir direkt angeben können. Wenn wir uns nur aufs Bild konzentrieren, könnten wir sagen, die Kamera malt. Sie beweist, daß sie mit einfacher Aufnahme bestimmter Lichtreflexe Bilder malen kann, wie der versierteste, abstrakte, tachistische Maler. In den Wörtern des Dialogs darunter verbirgt sie allerdings die Aussage, daß die Wörter eine Hauptrolle auf der Bühne der Geschichte beanspruchen, den Menschen, wie auch den Bildern, nur den Diensboteneingang lassen. Sähe man bei diesen Wörtern die Gesichter der Sprechenden, ihren Ausdruck, die individuellen Lippenbewegungen, würden wir das Gefühl von einem unnatürlichen, einem gedrechselten Dialog bekommen. Die Wörter würden ihren Charakter einer allgemeineren Reflexion verlieren, sie würden ihren Sinn ändern. Der Mann, der da anfängt mit "Meine Freundin und ich haben uns getrennt" würde tatsächlich von einer Freundin sprechen, einem menschlichen Wesen. So wie das Gespräch sich weiterentwickelt ist aber gar nicht gesagt, daß er von einem Menschen spricht, zumal man diese Freundin im Film zuvor nicht gesehen hat und auch nicht sehen wird.

Es steuert ja auf eine Reflexion über Wörter zu. Vielleicht sind die Wörter die Freundin, von der er sich getrennt hat, und seine Gesprächspartnerin versteht das und antwortet auch auf dieser Ebene, sodass der zitierte Satz von Augustinus am Ende sich ebensowenig auf die Liebe zwischen Mann und Frau bezeihen würde, sondern etwa auf die Liebe zum Bild. Diese ist in den Augen Godards eine maßlose, oder sollte es sein. Er macht immer wieder Bilder von überbordender Schönheit, aber eben so von Kargheit, Schlichtheit, Dunkelheiten, montiert Wörter dazu, läßt Leute reden Literatursätze oder auch improvisierte, belanglose, immer auf dem Hintergrund des Bemühens, die Bilder der Kontrolle durch die Wörter zu entziehen.

Durch beide Filme zieht sich als eine Art Hintergrundfolie der Krieg in Bosnien Mitte der neunziger Jahre. Erstmals in seinem Histoire du Cinema, 1995 ff, geht Godard auf diesen Krieg ein. Ich zitiere aus einem Text, gesprochen von ihm selbst, in dem Histoire aus dem Off. Das ist auf Deutsch erschienen 1999 bei ECM, die sonst Platten machen, "Jean Luc Godard, Histoire du Cinema, Texte", in vier Bänden. Dies ist aus Band 3.

"Dieser Tatbestand ist folgender," sagt er dort, zu Bildern, die eben nicht etwa den bosnischen Krieg zeigen. "Man ermordet ein Volk. Wo in Europa gibt es für diesen Tatbestand zeugen? Einen Zeugen? Die ganze Welt. Sehen die Regierungen ihn? Nein. Wir werden die europäischen Regierungen darüber belehren, daß die Verbrechen Verbrechen sind, daß es künftig einer Regierung ebensowenig wie einem Individium erlaubt ist, ein Mörder zu sein: in allernächster Nähe, hier unter unseren Augen massakriert, gebrandschatzt, geplündert, vernichtet wird, Väter und Mütter erwürgt, Mädchen und Jungen verkauft werden, daß die Kinder, die zu klein sind, um verkauft zu werden mit einem Säbelhieb niedergemäht, die Familien in ihren Häusern verbrannt werden. Wir belehren die Regierungen Europas darüber, daß man die schwangeren Frauen aufschlitzt, um die Kinder in ihren Bäuchen zu töten, daß es auf öffentlichen Plätzen haufenweise Skelette von Frauen mit Spuren der Aufschlitzung gibt, daß die Hunde in den Straßen das Hirn vergewaltigter Mädchen fressen, daß all dies schrecklich ist, das eine Geste der europäischen Regierungen genügte, um dies zu unterbinden, und daß die Wilden, die diese Widerlichkeiten begehen, schreckenerregend sind, und daß die Zivilisierten, die diese Untaten zulassen-also, die Staaten, bzw., wir-fürchterlich sind. Die Regierungen sagen, das sei übertrieben. Ja, das ist übertrieben. Nicht in wenigen Stunden wurde die Stadt Balak ausgelöscht, sondern in wenigen Tagen. Man spreche von 200 niedergebrannten Dörfern, es gibt aber nur 99. Nicht alle Frauen seien vergewaltigt worden, nicht alle Mädchen seien verkauft worden. Einige sind entkommen.

"Diese Art zu reden steigert den Horror, die Beschwichtigungen machen es nur schlimmer. Das ist Spitzfindigkeit im Dienste der Barbarei. Wir wollen die Dinge beim Namen nennen. Einen Menschen in einem Waldstück zu töten, sei es der Wald von Vendib oder der Schwarzwald, ist ein Verbrechen. Ein Volk zu töten in jenem anderen Waldstück, das man die Diplomatie nennt, ist ein umsogrößeres Verbrechen. Das ist alles. Einen Menschen zu ermorden ist ein Verbrechen, ein Volk zu ermorden ist ein Problem."

Französisch une question-ein Volk zu morden ist nur eine Frage.

Das ist ein Auszug aus diesem Text zum bosnischen Krieg aus dem Histoire du Cinema.

Die Filmanspielung jetzt ist aus dem Anfang von Notre Musique. Das versucht, was Godard hier in Worte gefasst hat, in Bilder umzusetzen, mit einer bestimmten Musik, und vornedran, was vor diesem Abschnitt steht, "Inferno" ist bezogen auf Dantes Divina Commedia. Alle drei Filme, alle drei Teile des Films, der dritte Teil "Paradiso", zitieren nicht, sondern rufen auf, in einer bestimmten Weise, Dante. Darauf werden wir zurückkommen.

Jetzt gucken wir den Anfang von Notre Musique.

. . . . . . . .

Das ist der erste Teil, "Die Hölle," von Notre Musique. Die Montage dieses Anfangs macht, wie Sie bemerkt haben werden, keine prinzipielle Differenz zwischen Fiktion und Realität. Bilder aus dem jugoslawischen Zerfallskrieg der 1990ziger Jahre stehen neben Bildern aus Wetlkrieg II, KZ Bildern, Folterbildern, und Kampfbildern aus Filmen, von Eisenstein über Billy Wilder bis John Ford, kollagiert mit Gemäldern verschiedener Maler und Bilder aus heutigen Kriegen-Afrika, Sarajevo. Bilder, die demonstrieren, daß es einen Unterschied zwischen sogenannten Fiktionen des Kriegs und sogenannter Wirklichkeit des Kriegs auf einer Bildebene nicht gibt.

Dann erscheint im Wirbel der Kriegsbilder ein kurzes Bild einer hübschen TV-Reporterin mit Mikrofon, die eines der Kriegsereignisse kommentiert. Das Bild ist so kurz, daß man nicht mitbekommt, zu welchem Ereignis sie da spricht, es ist kaum eine Sekunde lang. Aber es reicht, um die ganze Unangemessenheit ihres Auftritts, ihres Daseins, ihres Outfits, ihrer gestylten Friseur-die Unverschämtheit ihrer Klamotten, ihrer legeren Haltung gegenüber dem Geschehen als prinzipielle Unangemessenheit der Arbeit der TV-Leute, der professionellen Nachrichtenkaste, nicht nur aufzuzeigen sondern geradezu ins Auge zu brennen. Wie mit einem Laser bekommt man auf die Hirnrinde: ihr seid professionelle Wirklichkeitsvernichter. Godard braucht dazu keinen Ton zu sagen, die Montage der Bilder spricht. Sie zeigt, daß die Bilder des Krieges und die Kriegsbilder der Spielfilme sich gegenseitig weder etwas nehmen, noch hinzufügen. Sie sind sich in ihrem Schrecken ebenbürtig. Sie sind Schrecken. Während das Bild der Nachrichtenfrau aus einer totalen Unwirklichkeit kommt, der unseres täglichen Fernsehabendmals.. Der bosnische Krieg Mitte der neunziger Jahre, Europas Urverbrechen, der jetzt (Zeigen?) des Godards, nicht los.

Teil von Notre Musique ist unsere kriegerische Auslöschungsgewalt.

Im nächsten Schnitt von Notre Musique-der Film verlegt seinen Schauplatz ins heutige Sarajevo-wird der Zentralbibliothekar gefragt, was er denke, ob die Schriftsteller wüssten, wovon sie schreiben. Der Bibliotheksmensch verneint das. Nein, die Schreiber wissen nicht, wovon sie schreiben. Homer war blind und zurückgezogen, er kennt den Krieg nicht, er hatte keine Ahnung von Schlachtfeldern.

In Sarajevo lässt Godard ein fiktives Symposium stattfinden, zu dem auch Palästinenser und Israelis geladen sind. Unter ihnen der palästinensische Dichter Mahmud Darwisch und die israelische Journalistin/Studentin Olga. Also ein wirklicher Schriftsteller und eine fiktive israelische Journalistin, Schauspielerin. Wir sehen den Ausschnitt, in dem, in diesem fiktiven Symposium, der palaätinensische Schriftsteller zu der Israelin spricht.

. . . . . . . . .

Godard und Darwisch, der übrigens vor kurzem gestorben ist, legen so das Verhältnis Griechen-Trojaner über das Verhältnis Israelis-Palästinenser. Mit der Frage, ob die Poesie ein Zeichensystem sei, oder ein Instrument der Macht. Hat ein Volk mit vielen großen Poeten das Recht, ein Volk zu zerstören, "to control", sagte der Untertitel, das keine Poeten hat. Wir haben Homer, die Gesänge der Trojaner haben wir nicht. Hatten Sie welche? Ein Volk ohne Poeten ist ein geschlagenes Volk, Troja geht unter. Ohne Israel gäbe es kein Interesse an Palästina, sagt der palästinensischer Poet. "Ja, wir sind euer Propagandaministerium," antwortet die israelische Journalistin, womit sie Israel in eine Position bringt, die jene von Göbbels paralellisiert, ohne daß dies ausgesprochen wurde.

Ohnehin liebt sie es, in Rätseln zu reden. Die Sprache, die Wörter scheinen nie das, oder nur das zu sagen, was sie einfach sagen. Olga, so ihr Name, bringt es in den Satz, "Wenn irgendwer mich verstanden hat, dann war ich nicht klar." Daß Klarheit in Wörtern, Klarheit im Sinne von Verständlichkeit, immer auch an Dummheit grenzt, war schon für Karl Krauss ein klar erkanntes Problem. Sein Satz in Richtung der Zensurbehörde der Habsburger Monarchie, Zitat : "Eine Satire, die der Zensor versteht, wird zureche verboten," begleitet mich seit frühesten Studententagen. Eine Warntafel, die besagt, Verständlichkeit ist auch eine Art Zensur. Sie zensiert die Komplexität der Dinge weg, radikal.

Godard erhöht die Komplexität, indem er über den Komplex Troja-Palastinenser-Israelis und Ermordung der bosnischen Bevölkerung zusätzlich die Ausrottung der Indianer in Amerika legt. Unvermittelt tauchen in der Bibliothek in Sarajevo, untergebracht in einer halbzerbombten Therme, kostümierte Indianer auf, und deklamieren den Text einer historischen Deklaration zu ihrer Lage. Die Klage über ihre Auslöschung wird zur Klage der bosnischen Bevölkerung über ihre Auslöschung.

Wie kann diese Schichtung im Film Bild werden? Godard hatte die berühmte Steinbogenbrücke über die Neretwa in Mostar im Kopf, das Symbol aller Zerstörung in diesem Krieg. Er schickt Olga auf Phototour nach Mostar. Sie photographiert die neu errichtete Brücke, eine Stahlkonstruktion, und mit einem Mal stehen da Indianer im Bild.

. . . . . . .

Zu diesem letzten aus dem Off gesprochenen Text, der einen Traum Olgas wiedergibt, wird, . . ., zeigt er ihr Gesicht? Ich glaube, wenn ich das richtig sehe, versucht er da zu demonstrieren, die fehlende Tiefenschärfe der DVD-Kamera, sie kommt nach vorne, wird erst da sichtbar. Der Hintergrund bleibt wie ein Traum, unsichtbar, unbebildert, und, indem Godard einige seiner Schauspieler in Indianerklamotten steckt, und sie in Mostar vor der berühmten zerstörten Brücke für ein Photo posieren läßt, macht er erneut ernst mit seiner Gleichbehandlung sogenannter Realitäten und sogenannter Fiktionen. Sind ja beinahe Winentou-Klamotten, in denen sie da stehen. Die Brücke, die neue, übrigens unter der EU-Verwaltung von Hans Koschnik aus Bremen, aufgebaut-Koschnig legte dort bekanntlich als EU-Kommissar seine Amten nieder wegen mangelnder Unterstützung seitens der EU für den Friedensprozess in Mostar.

Zu dem Umgang mit Realien und Fiktiven gibt es im Film ein Lehrbeispiel vorgetragen von Godard selbst. Er spricht als Gastredenr vom fiktiven Symposium in Sarajevo zu Filmstudenten, und ist dabei meistens von Hinten im Bild zu sehen. Dieses Lehrstück gucken wir uns jetzt an:

. . . . . . .

Die Frage, ob die kleine, handliche Digikamera vielleicht das Kino retten werde, wird von Godards Gesicht, gefilmt im Halbdunkel-mit einer Digikam-mit einem langen, schwarzen Schweigen beantwortet. Das Feld des Textes hat das Visuelle überlagert, sagte Celine schon 1936. Das Kino ist dabei in der Position der Euridike, sagt Godard in einem früheren Interview 1980, und Orpheus in der Position der Literatur. Orpheus dreht sich um auf der Treppe und schickt Euridike zurück in die Unterwelt. Mit der Geschichte ihres Todes macht er dann Kohle. Die Literatur besetzt das Kino. Aber das stimmt so nicht mehr für den Godard von 2004. Die Gewißheit von der Überlegenheit der Bilder ist zusammengebrochen. In Eloge de l'amour, werden wir hören, "die Bilder zeigen nichts mehr." Während hier noch in einem Argumentationsstrang mit den beiden Physikern zu belegen versucht wird, daß das Phantastische realer ist als das Hamletschloss: das wird erst interessant dadurch, dass der Name "Hamlet" dran hängt während einfach Schloss "Elsinore" nichts ist, "Uncertainty." (Dazwischen schneidet er ein Bild eines anderen Schlosses, ich glaube es ist Schloß Vogelöd aus Murnau, deutscher Film der zwanziger Jahre.)

Und die Personen, nirgendwo hier, sind einfach Personen.

Die Stimme aus dem Off am Ende von Notre Musique sagt etwas auf französisch die Untertitel übersetzen: "It was a cool day and very clear. You could see a long way. But not as far as Olga had gone." Olga, die übrigens einen DVD-Film von diesem Symposium im Film in Sarajevo macht. Also, "You could see a long way but not as far as Olga had gone." Olga ? Olga? Nein. "Velma" steht da doch im Original. Das sind die Schlußsätze von Raymond Chandlers wahrscheinlich bestem Krimi Farewell, My Lovely. 'Meine Velma', nach der der starrköpfige Knasti Moose Malloy, knapp zwei Meter hoch und nicht breiter als ein Bierwagen, das ganze Buch gesucht hat, bis zum bitteren Ende für beide. Velma, im Film von Dick Richards gespielt von Charlotte Rampling, neben ihr Robert Mitchum als Philip Marlowe. Es ist aber nicht Philip Marlowes Stimme, die das hier sagt, es ist die Stimme Jean-Luc Godards. Godard läßt seinen Film Notre Musique aus dem Jahr 2004 enden mit Chandlers Schlußsätzen aus Farewell, My Lovely. Velma bei Chandler ist eine attraktive hochkarätige Kriminelle verheiratet mit einem debilen Richter, den sie betrügt. Olga bei Godard ist die israelische Studentin, die das fiktive Symposium in Sarajevo, welches das Verhältnis von Wörtern und Bildern untersucht, mit ihrer Digicam aufnimmt.

Später zurück in seiner Wohnung am Genfer See erfährt Godard am Telephon von Olgas Tod. Bericht des Dolmetchers von der Konferenz: Sie hatte gedroht, in Jerusalem ein Kino in die Luft zu sprengen. Die Untertitel sagen, "She said if there was one Israili who'd die with her for peace, not for war, she'd be happy," und hatte dann das Kino sich leeren lassen. Aber niemand war geblieben, kein einziger. Dann kamen die Wachleute und erschossen sie. In ihrer großen roten Taschewaren aber nur Bücher, keine Bombe, erfährt Godard am Telefon. Ein Fake-Terror-Akt, also. Die Pazifistin Olga bezahlt ihren Versuch, einen Israeli zu finden, der für den Frieden sterben würde, mit dem Leben.

Film Noir. "Es war ein kühler, klarer Tag. Man konnte sehr weit sehen, aber nicht so weit, wie Olga gegangen war."

In seinem Film Nouvelle Vague von 1990 hatte Godard seiner Hauptfigur, dem aus dem Nichts auftauchenden Allan Delon, den Namen "Terry Lennox" gegeben. Das ist der Name der Hauptfigur aus einem weiteren Chandler Roman, The Long Goodbye. In Nouvelle Vague, in dem Film, geht es darum, wer von zwei Liebenden den Anderen jeweils ins Wasser stößt, und wer danach eine rettende Hand bietet, oder nicht, den Abschied also endgültig sein läßt.

Godards Filmproduktion zwischen 1990 und 2004, die immer auch den möglichen Abschied vom Kino behandelt, finden wir also aufgespannt zwischen zwei berühmten Chandler-Aussagen. Den Film vom drohenden Untergang des Kinos und vom drohenden Untergang der europäischen Zivilisation in geduldeten Gemetzeln a la Sarajevo oder Mostar, bei Godard Film Noir, in Permanenz heute.

Die Schichten Olga-Sarajevo-Jerusalem-Chandler-Alain Delon-Terry Lennox-Wiederkehr eines Toten, französische Krimis-Chandler-aber es ergibt keine Charaktere, keine Subjekte. In diesem Film Nouvelle Vague von 1990 mit dem Godard die späte Phase seiner Produktion eingeleitet hat unter Verwendung des Schauspielers Allain Delon, der sein interessantes unrasiertes Gesicht durch diesen Film trägt, ohne einen der Sätze, die er daran sagt, wirklich verstehen zu müssen, z.B. "Was tun Sie hier?" "Ich errege Mitleid."

In dieser Nouvelle Vague schert sich aus dem Stimmengewirr, gebaut wie eine Gesangsquartett in der Oper, der Satz, "Jetzt sollten wir wissen, was ein Bild ist, denn wir haben viele Filme in der Brieftasche." Ja, wir haben viele Filme, viele Bücher, viele Gesichter, Namen und Vorfälle in der Brieftasche, aber-das unterstreichen solche Sätze-wir wissen immer noch nicht genau was ein Bild ist, etwa im Verhältnis zum Wort, zum gesprochenen Schauspielerwort, zum zitierten Literaturwort, zum Wort, das ins Bild geschrieben ist als "Insert".

Eloge de l'amour von 2000 fängt an mit junger Frau, Großaufnahme Gesicht, die sagt, (diesen Teil, den Anfang, erzähl ich jetzt mal), "Arbeitslose, fangt endlich an zu denken!" Dann erzählt sie eine Episode, die zeitlich nicht zu ihrem jungen Gesicht paßt, etwas aus der Geschichte also, das Erlebnis einer anderen, früheren Frau: "Dann nähte ich mir einen gelben Sternen an." Das tat diese Frau aus Solidarität mit ihrem Geliebten, eine nicht-Jüdin also. Die deutschen Soldaten, unter deren Besatzung sich dies abspielte 1942, reagierten, "Du wirst Faschisten erleben? Das kannst du haben," und schlugen sie zusammen. "Welch eine Zeit!" schließt sie ihre Erzählung. Schnitt. Schwarzfilm. Etwas anderes kommt ins Bild, nur auf der Tonspur ist die Frau noch vorhanden. Eine männliche Stimme fragt, "Wenn Sie wählen sollten zwischen Kino und Theater, Roman oder Oper, was würden Sie wählen?" "Vermutlich Roman," antwortet ihre Stimme etwas zögernd. Man sieht jetzt einen jungen Mann im Bild, der in einem Buch blättert. Das Buch ist geneigt zur Kamera-zum Zuschauer hin-wir können sehen, es hat lauter weiße Seiten. Der junge Mann liest einen Roman aus leeren Seiten. Diese Seiten werden zu füllen sein vom Film, bis die Antwort auf diesselbe Frage am Ende des Films anders lauten wird.

Nach dieser ersten Exposition, die die Frage nach der Konkurrenz der Genres und Medien beim Zugang zu Geschichtlichem aufwirft, folgt eine zweite. Wir sehen ein Frauengesicht, auch dies frontal, in Großaufnahme, und hören aus dem Off, dass dieser Film, der in seinem Titel die Liebe feiern will, vor hat, die Geschichte dreier Paare zu behandeln., eines jungen, eines erwachsenen und eines alten Paares., und dabei, die vier Momente der Liebe zu entfalten. Wir sind gespannt, welche das sind. Die Stimme zählt auf: das Kennenlernen, die körperliche Liebe, die Trennung, das Wiederfinden. Etwas erstaunt registrieren wir, daß dieser Film, der das Lob der Liebe singen will, die Trennung für eines ihrer vier Grundelemente hält, Trennung allerdings als Voraussetzung des Wiederfindens. Das Gesicht der Frau im Bild liefert eine Reflexion über die verschiedenen Lebensalter. Daß alle, die sich verändern wollen, die irgendwie weiter wachsen wollen sich dabei von einem Ich trennen, das sie nicht mehr sind, daß sie dann, wenn sie ins Alter gekommen sind, die Zeit negieren, weil sie fürchten, von ihr ausgelöscht zu werden, daß sich stattdessen bestimmte Erinnerungen in ihrem Inneren installieren, und daß insgeheim der Gedanke bei ihnen sich bildet, im Grunde immer dieselben geblieben zu sein.

Dann ist da eine Gruppe von Leuten aus dem Kunstbetrieb, die damit beschäftigt ist, im Weltkrieg geraubte Kunst den jüdischen Besitzern zurückzuerstreiten. Frage: Wem was rechtmässig gehört? Das berührt eine zentrale Definition des Subjekts im Abendland. Es wird rechtlich-ökonomisch definiert über dem Besitz: Ich besitze, also bin ich. Außerdem prüft die Gruppe die Echtheit der Gemälde. Anwälte und Kunstexperten also, zwei Identitätsstifter der bürgerlichen Kultur. Identität, gleich "ich habe Rechte, also bin ich." Ich besitze- Kunst- ,also bin ich. Beziehungsweise, ich besaß Kunst, ich bin aber auch Jude, ich bin Entrechteter, ich bin Verfolgter, ich bin in vielen der in Frage stehenden Fälle Ermordeter. Ich will meine Bilder zurück. Nein, ich habe Nachkommen, diese wollen. Frage dahinter: Wem gehört Kunst? Man sieht keinen der Anspruchssteller im Film, nur die Gruppe derer, die mit der Rückführung befasst ist. Sie sprechen über die aktuellen Unrechtsbesitzer der Bilder: Privatleute, Sammlungen, Unternehmen und Museen. Zitat: "Sie alle sind Diebe, auch der Louvre mit dem Unterschied, daß der Direktor des Louvre die Nike von Samothrace nicht nur besitzen, sondern auch als ihr Schöpfer gelten will neben Phidias. Das ergibt eine schöne Identitätsbegründung: "ich stehle, also bin ich." Und nicht nur Besitzer, sondern Schöpfer, wenn ich Museumschef bin. Ich habe Kunst (geklaut), also bin ich (Künstler).

Einer aus dieser Gruppe, ein junger Mann namens Edgar, zu dessen Vorfahren weitläufig der Maler Edgar Degas zu gehören scheint, hat ein Projekt: er will einen Film machen über die verschiedenen Altersstufen und sucht dafür nach der passenden Besetzung. Über verschiedene Figuren, die im Film auftauchen wird also ständig geredet im Sinne eines "casting". Welche Frau für welche Rolle geeignet sei, warum oder warum nicht? Wir sehen eine junge Frau im Bild mit Hut und Kragen wie aus einem niederländischen Gemälde des siebzehnten Jahrhunderts, dann sehen wir sie ohne diese Klamotten, nur Kopf, Gesicht und Haare, und es ist das Gesicht der Jugend. Sie ist jung, sie ist schön. Aber nicht nur einfach jung, sie soll auch die Jugend sein, indem sie Eglantine ist, die jugendliche Geliebte des Parzival, einer Figur aus der Geschichte aus der Literatur. Mit dem Lebensausschnitt, der nach der Jugend kommt, hat der Film ein Problem. Zitat: "Ein Junger ist ein Junger, ein Alter ist ein Alter, hört man sagen, aber was sind die dazwischen, die Erwachsenen? Es gibt überhaupt keine Erwachsenen, sagt jemand." Manchmal werden solche Sätze, von jemandem gesprochen, der im Bild ist (58:35), sind also einer Person zuordbar, manchmal von einer Stimme aus dem Off. Die Kamera folgt nicht den redenden Personen. Wenn jemand aus dem Bild geht, behält die Kamera den gewählten Raumausschnitt bei. Die Person, die außerhalb des Bilds weiterredet, kann weiter als diese Person verstanden werden, genauso aber kann diese Stimme als eine Art Erzähler, Kommentator, oder Reflektierender aus dem Off genommen werden. Mit dem Resultat, daß Personen im Sinne von Charakteren im Filme nicht entstehen.

Der Film entwickelt einen bestimmten Diskurs, mehrere Diskurse, Liebe, Jugend, Alter, Politik, die Geschichte des Weltkriegs, Bilderraub, die Echtheit von Bildern, das Casting, die Weigerung, bestimmte Rollen zu spielen. Von einer Schauspielerin, die für eine Rolle in Edgars Projekt zur Debatte steht, wird gesagt, "Sie hat in dieser Fernsehserie da gespielt. Das spricht nicht für sie." Antwort: "Sie hat sich geweigert, gewisse Dialoge zu sprechen, man hat sie 'rausgeschmissen, die könnte was für uns sein." Eine Frau, die Edgar besonders gern in seinem Projekt sähe, lehnt ab mit Sätzen wie, "Ich habe schon zu viele Leute aus diesem Geschäft gesehen." Sie weigert sich beharrlich. Nebenbei erfährt man, daß ihre Eltern gemeinsam Selbstmord begangen haben, drei Jahre vor '68 in Amsterdam. Dort gibt es Leute, die einem bei so etwas helfen. Die Frau, alleinerziehende Mutter mit dreijährigem Sohn, lebt von Gelegenheitsjobs. Edgar-man sagt aber besser "der Mann mit dem Projekt"-sucht sie auf in einem Eisenbahndepot beim Waggonreinigen. Es ist früh morgens, es ist dunkel. Kaum hebt sich ihr Gesicht von diesem Dunkel ab.

Viele Sätze der Personen werden mit dem Rücken zur Kamera gesprochen. Einen Dialog, der mit Schuß-Gegenschuß aufgenommen wäre, gibt es im ganzen Film nicht. Und viele seiner Sätze werden im Laufe des Films wiederholt. So hören wir fast alle Sätze aus dem Anfang des Films an seinem Ende noch einmal, gesprochen von anderen Personen oder Stimmen und zu völlig anderen Bildern. Das entpuppt sich als eines der Themen des Films: die Losgelöstheit der Bilder vom Textlichen. Und eigentlich sucht der mit dem Projekt auch gar keine Schauspielerin, sagt er, am liebsten wäre ihm jemand wie Simone Weil oder Hannah Arendt. Ihre Gesichter tauchen auf als Bild. Gesichter für bestimmte historische Haltungen, die kein Schauspieler mimen kann. (kurzer Hinweis auf Moritz Bleibtreu als Andreas Baader im Eichinger-Schund.)

Was ist ein Gesicht? Unklar.

In der Mitte von Eloge d'Amour gibt es dann den Satz, "Wir werden nie genau wissen, woraus ein Gedanke besteht." Bergson wird zitiert und vermutlich auch Charles Pedie, den Godard oft verwendet. Zitat "Wir können nur an etwas denken, indem wir an etwas anderes denken." Heißt, wenn wir eine Landschaft sehen, können wir sie nur einordnen, also denken, indem wir sie mit einer anderen vergleichen, die wir gesehen haben. Im Bild dazu sehen wir ein Gewässer, einen städtischen Fluß, an dessen gemauerten Ufern wir eine frühmoderne Architektur erkennen. Wir denken nicht an Landschaften bei diesem Bild, sondern an andere Architekturen, die wir automatisch zu der im Bild in Beziehung setzen. Später hören wir denselben Gedanken nochmal zu einem anderen Bild. Aber keines dieser Bilder illustriert etwas aus den gesagten Sätzen.

Das war schon so in Godards Film Schütze Deine Rechte von 1986. Der Film, der mit einem Telefonanruf beginnt, in welchem dem Idioten-das ist der Regisseur-mitgeteilt wird, man werde ihm verzeihen, wenn er unverzüglich mit seinem Film begänne, den er am selben Abend im Studio fertig abzuliefern habe. Verzeihen aber nur dann. Von seinem Vergehen erfährt man nichts, es muß sich von dem Vergehen handeln, überhaupt Filme zu machen. Im Bild sieht man keine Telefonierenden, sondern eine bewaldete Landschaft. Textlich besteht Schütze Deine Rechte fast nur aus Literaturzitaten, denen in den dazumontierten Bildern nichts korrespondiert. Kein einziges der Filmbilder illustriert oder komplettiert einen der gesprochenen Texte, jedenfalls auf den ersten Blick nicht. Man muß den Film, wie alle späten Arbeiten Godards, mehrmals sehen, um mitzubekommen, dass uns hier sehr kunstvoll vorgeführt wird, wie man vernünftigerweise Literatur verfilmt, indem man nämlich den Wörtern einen eigenständigen Bilderstrom hinzufügt, z.B., verschiedene Formen des Verkehrs, Autos, Flugzeuge, Eisenbahnen, bestimmte Bewegungsformen und Tempi werden zu Kommentaren oder Erläuterungen bestimmter Sätze aus Büchern. Godard selbst stolpert durch diesen Film als "der Idiot," gleich der Filmemacher, pendelnd zwischen der Figur aus Dostoevski und einem Blödian mit Filmrollen unter dem Arm, der die Studios belämmert und versucht, diese dort zu verkaufen. Irgendwann hört man den Satz, "Das Schwerste am Filmemachen ist, die Rollen herumzuschleppen."

In seinem gezielten Auseinandergehen von Wort und Bildstrom entfaltet sich der Film schließlich zu einer umfassenden Kritik sogennannter Literaturverfilmungen, dieses stupiden Umsetzens von Romanen in TV oder in Theater in Dialoge zwischen handelnden Personen. Der Film entfaltet sich zur schärfsten und witzigsten Verwerfung dieser Verfahren, insbesondere auch des Filmemachens nach sogenannten "Drehbüchern," die um handelnde Charaktere herum aufgebaut sind, dieser Kram, den man einreichen muß, um von staatlichen Filmförderungen Geld zu bekommen. Die Filmförderung Baden-Würtemberg-sah es kürzlich-wirbt für ihr aktuelles, jährliches Drehbuchcamp mit dem Satz, "Film beginnt mit Schreiben" und meint damit Drehbücher, die eine Geschichte aufschreiben, von deren Personen und prämierten Dialogen aus die Dreharbeiten dann starten. Später kann die Geldvergabeinstitution prüfen, ob tatsächlich dieses prämierte Drehbuch verfilmt worden ist oder nicht.

Während Godard sagt Ja, Filmen beginnt vielleicht mit Texten, mit Büchern, mit Literatur, aber mit keiner, die man dann bebildert, die vielmehr etwas prinzipiell Anderes sagt und will und kann, als das Bild. Und diese Verschiedenheit, und die mögliche gegenseitige Befruchtung zu zeigen, sie zu bearbeiten, dazu ist Filmemachen da. Unter dieser Arbeitsvorgabe stehen alle Godard Filme seit spätestens 1990 und seitdem ist auch kein Godard-Film mehr in ein deutsches Kino gekommen.

Die neueren Filme, Eloge de l'amour oder Notre Musique setzen diese Verfahren fort und verfeinern sie. Immer geht es um das Verhältnis von Wort und Bild, von Denken im Kopf und den zeigbaren Vorgängen des Denkens. Kino ist eigentlich erfunden worden für das Denken, sagt Godard im Histoire du Cinema, das hat man inzwischen vergessen, wir hinzufügen.

Wort, Bild, Gedanken. Wie immer bei Godard sieht man auch Bilder, die mit Augen nicht zu sehen sind. Die Frau da im Halbdunkel reinigt nicht nur Waggons in der Morgenfrühe, sie putzt, indem die Kamera außen an den abgestellten Waggons entlangstreift, auch Erinnerungen an die Schoah weg. Wir sehen Waggonreinigen heisst immer noch Blut abwaschen. Wir sehen das, obwohl Godard nicht irgend ein historisches Bild dazu schneidet. Es gibt, mit Ausnahme von ein paar alten Parisaufnahmen, in denen ein DeGaulle-Plakat hängt, keine historischen Bilder in Eloge d'Amour, wenn von vergangener Geschichte die Rede ist. Die Bilder sind alle Jetztzeit.

Besonderheit dieses Films: er wechselt in der Mitte von Schwarzweiß auf Farbe. Der Teil, der in die Geschichte des Weltkriegs und der Judenverfolgung reicht, und der das "Casting" für das Projekt inszeniert der also in der Jetztzeit spielt aber von der Vergangenheit spricht, ist in Schwarzweiß. Während der Teil, der in Farbe folgt, auch in der Jetztzeit spielt aber in einer Hyperjetztzeit. Zitat: "Die Amerikaner sind überall." So heisst es schon im ersten Teil. Und dass man hier beim geplanten Projekt keinen Liebesfilm drehen wolle, von der Sorte Julia-Roberts-Film, die im Gespräch zwischen dem Franzosen französisch ausgesprochen wird, also "Julia Rober" heisst.

Hier nun, im Farbteil, treten die Amerikaner auf in Gestalt von Abgesandten des Steven -Spielberg-Studios, die in Frankreich den Stoff für einen Film über die französische Resistance einkaufen wollen. Das bringt das Paar der Alten, die Alten ins Spiel, die im Film bisher als jene Figuren vorkamen, die in Decken gehüllt auf Parkbänken oder in Bankeingängen herumliegen.

Ein Alter im Film, dessen Personalität nicht enthüllt wird, faßt in einem dieser Glas- und Stahl-Ambiente Büros gegenüber einem jüngeren Befrager seine Situation zusammen in den Sätzen, "Ich frage mich, ob meine Zigarette bis zum Abend reicht. Ich frage mich, ob meine Schnürsenkel bis morgan halten. Ich frage mich, ob mein Atem bis nächste Woche reicht." Man sieht seine alte, schlurfige Gestalt nur in der Silhouette, sein Gesicht kaum. Der junge Mann kehrt ihm den Rücken zu.

Nun die bunten Amerikaner und das gealterte Resistance-Paar. Die beiden, die Eheleute Bajard, haben 1941 eine Widerstandsgruppe "Tristan und Isolde" gegründet. So soll das Spielbergfilm über sie auch heissen. Diese zweite Hälfte des Films ist nicht einfach in Farbe aller Technicolor, er ist eingefärbt. Wir sehen das Blau des Meers mit Wogen darin wie nur ein computergefärbtes "Hyperblau" sein kann. Die Bilder sind alle wie gemalt aber nicht mit dem Pinsel, sondern Farbe aus modernster Gerätetechnologie: Medienfarben.

Der Film erweitert sich um die Frage, ob die Amerikaner eine Geschichte hätten. Die Frage wird auf verschiedene Weise verneint. Zitat: "Die Amerikaner haben keine Geschichte, keine Vergangenheit, der Norden nicht, die Mexikaner nicht, Brasilien nicht. Deswegen kaufen sie Geschichten. Nur ihre Maschinen haben Gedächtnis, Bildermaschinen. Sie kaufen Bilder und Geschichten, Bilder, die aber nichts mehr sagen, sprechende Bilder zu Hauf, Bilder, die nichts zeigen." Die Frage, die im Film gestellt wird: ab wann das so sei oder ist, sieht so aus.

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Ja. Die Bilder, sagt sie da, sind nur noch Bilder in kontrollierten Systemen. Dabei war das Bild das Einzige, was das Nichts überbrücken konnte, aber jetzt blickt das Nichts zurück. Auf uns, hat uns im Blick. Wann ist der Blick gekippt? fragt die Stimme aus dem Off. Vor zehn Jahren, fünfzig?, und vorüber, über die Herrschaft des Fernsehens oder über das Leben? Die Frage bleibt unbeantwortet. Bilder hatten mal mit Wahrheit zu tun. Ist es noch so? Es fällt der Satz. "Kann sein, die Wahrheit ist trauri.". Und Onkel Max-das ist Max Ophuls-wird zitiert mit dem Satz, "Das Glück ist nicht lustig."

So auch l'amour in diesem Film. Es kommen zwar einige Paare vor, wie am Anfang versprochen, aber Liebesgeschichten zwischen diesen werden nicht gezeigt. Es ist von der anderen Art Liebe die Rede, wohl die Liebe zum Bild.

Godard hat in früheren Filmen schon mit der Flaubert-formel vom "richtigen Wort, mot juste," gespielt, indem er abwandelte une image juste-juste une image, also Flaubert: "une image juste," Godard: "Juste une image," einfach ein Bild. Statt 'genau das richtige Bild' 'genau nur das Bild.' Das richtige Bild gibt es nicht. Es gibt vielmehr viele Möglichkeiten, mit dem Verfahren," einfach ein Bild," etwas Richtiges, herzustellen.

Nichts steht der Liebe mehr entgegen, heisst es wenig später, als das Bild des Staates. Eine junge deutsche Katholikin schrieb 1941, sagt der Film, "Das Individuum will zwei sein. Der Staat will allein sein." Sie wurde geköpft. Das ist eine weitere Homage der späten Godardfilme an Sophie Scholl, die besagt, es gibt auch böse Bilder, Bilder des Staates.

Bild zu einer Kosovo-Episode in Eloge de l'amour. Man erfährt, daß es einen Vortrag gäbe im Haus des Lexikons von einem Amerikaner, Mark Hunter. Aus dem Off hören wir kurz darauf eine amerikanische Stimme, sie spricht leise von den serbischen Greueltaten in Kosovo. Im Bild sehen wir ein Frauengesicht, allein, liegend auf rechter Hand, daran ein Ring. Text: "Die Kosovo-Albaner in ihren Häusern wussten, dass die Serben sich an ihnen rächen würden, wenn die Nato Belgrad bombadieren würde. Die amerikanische Stimme erzählt, wie Radio-Belgrad diese Rache genehmigte. Sie zitiert den Bericht eines zwölfjährigen Mädchens, das zusehen mußte, wie bevor seinen Augen dreizehn Menschen getötet und zerstückelt wurden, darunter ihre Eltern. Eine Stimme von Albanerseite ergänzt, daß zum ersten Mal in ihrer Geschichte KosovoßAlbaner ähnliche Verbrechen an Serben begangen hätten. Sie gehört dem Chefredakteur der albanischen Zeitung Pristina.. Er ist kurz im Bild. Mark Hunter, der den Vortrag hält, ist nicht im Bild. Ebensowenig irgendein Dokumentarbild aus dem Kosovo. Nur das Frauengesicht, liegend auf der Hand. Im Abspann des Films erscheint tatsächlich der Name Mark Hunter. Wir haben also dessen Stimme gehört. Den Vortrag in Paris hat es tatsächlich gegeben. Die Massaker müssen wir imaginieren. Die leise, eindringliche Stimme suggereirt, daß sie die Wahrheit spricht.

Die Bilder, die die Spielberg-Abgesandten dann machen wollen, von dem alten Resistance-Paar sind nicht Bilder des Staates aber Bilder einer Diktatur: Bilder einer Unwahrheit. So die Spielbergs bei Godard:

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Der Spielberg-Einkäufer und seine schicke Sekretärin in der Szene vorher im Film kamen angerauschtt in einem superschicken Lotus Kabriolet. "O," sagt ein Passant, wundernd als sie aussteigen, "Sie wissen doch, wer diesen Wagen erfunden hat. Das war Colin Chapman." "So what?" sagt die Frau aus dem Auto indigniert und stapft aus dem Bild. Ihr verächtliches Schweigen sagt, ist doch scheissegal. Wem juckt es, wer den erfunden hat? Ich fahre ihn. Und du Arsch weißt es, fährst ihn aber nicht. Das ist amerikanisches Dasein des triumphierenden Augenblicks. Diese Figuren kann Godard nicht anders als parodistisch zeigen. Mit der Amerika-Neigung der Bretonen erlaubt er sich noch einen besonderen Scherz. Wir sehen zwei junge Mädchen von zwölf-dreizehn Jahren in bretonischer Tracht, Beulenhutmädels. Sie gehen herum mit einer Unterschriftliste. Wofür sie denn Unterschriften sammeln? Antwort für eine bretonische Fassung des Films Matrix. Das sind die amerikanisierten Jungen. Amerika ist überall. Selbst unter bretonischen Mädchentrachten steckt es im Kopf.

Den Film, den die Spielbergs machen wollen macht Godard dann sozusagen unter der Hand dann hier selbst. Wir erfahren, dass der Alte die Rechte an seiner Story an Hollywood verkaufen will, weil er finanzielle Probleme mit seinem Hotel hat, dass die Story deswegen so interessant ist, weil es sich um die Geschichte eines Doppelagenten, eines irgendwie verordneten Verrats, handelt. Buchdeckel mit Peter Cheyney darauf. Zum Verrat passt, dass der Alte im Film ziemlich genau ausieht, wie der alte Ezra Pound. Und über die Alte des Paars erfahren wir, daß sie in ihrem Bewußtsein immer noch zur Zeit der Resistance lebt. Dass sie zwar gealtert, die Resistance aber jung geblieben ist. Jetzt verkörpert in ihrer jungen, frechen Enkelin, die die Hollywood Amerikaner in Verlegenheit bringt, weil sie ihre Nationalität nicht angeben können.

Die junge Enkelin des Resistance-Ppaars hat offenbar andere Dinge darüber gelernt. Sie liest ihrer Großmutter Sätze aus einem Kinolehrbuch vor, Robert Bressons "Notizen vom Kinematographen." Eine davon lautet, "Alles, was sich durch Schweigen und durch Dinge ausdrücken läßt, soll man durch Schweigen und durch Dinge ausdrücken." Also durch Bilder ohne Worte, also im Umgang mit Licht, Lumiére, das Wort, den Namen, den Godard nicht aufhört zu beschwören.

Der Satz, dass wir wissen sollten, was ein Bild ist, da wir soviele Filme in der Brieftasche haben, ist schließlich nicht einfach ironisch, er ist im höchsten Maße selbstironisch und rücksichtslos offen. "Die Zeit der Sätze ist zu Ende," heißt es an einer Stelle von Eloge d'Amour, "die Zeit der Liebe aber nicht." Nur, was ist die Liebe? Sie hat mit Bildern zu tun, aber das richtige Bild gibt es nicht. Der bald achtzigjährige Godard scheut sich nicht, nach lebenslanger Arbeit an Film und mit Film, sich einzugestehen, dass er das immer noch nicht sicher weiß, was ein Bild ist. Er glaubt, etwas zu wissen vom Mangel der Wörter. Der besteht in ihrer behaupteten diskursiven Dominanz: Haupteingang in die Wohnung der Welt. Auf die Frage, ob er die Idee mit dem Theater aufgegeben habe, antwortet der junge Erwachsene mit dem Projekt, "Ja, sie brüllen in einem fort." Auf der Bühne werden Wörter gebrüllt, sie führen nicht zum Bild.

Dazwischen eingestreut immer wieder so etwas wie Realitätspartikel. Zum Beispiel, die französische Botschaft in Sarajevo. Was passiert in einer Botschaft? Empfänge. Champagnerkelche. Wir sehen eine Gruppe von Leuten, die sich zuprostet. Zweitens, ein Tänzchen, diskrete Andeutung sexueller Folgeereignisse vom Botschaftsempfängen. Dann nimmt die junge Israelitin den Botschafter zur Seite. Sie eröffnet ihm, dass sie nur lebe, weil er, der Botschafter, 1942 in Lyon ihren Vater vor den Nazis versteckt hat. Der Botschafter hat den Titel "Gerechter unter den Völkern" aber abgelehnt. Jemandem zu helfen, der von Terror verfolgt wird, ist eine menschliche Selbstverständlichkeit, sagt er. Dafür nimmt man keinen Orden. Der Botschafter ist ein Bewunderer der Schriften von Hannah Arendt. Zu ihrem Gesicht ein Photo hängt in seinem Arbeitszimmer, zitiert er lächelnd eine Bemerkung ihres Freundes Scholem, "Sie sieht aus, wie zwölf Synagogen," habe Scholem gesagt. Man-ich jedenfalls-werde jedenfalls Hannah Arends Gesicht nie wieder ansehen können, ohne diese Bemerkung. Sie trifft so sehr ihr Jüdischsein, das mit Synagogen nichts zu tun hat, aber gerade deshalb haften wird.

So wie kein einziges Gesicht einer Figur, einer Person aus dem Film Eloge de l'amour haften wird. So, wie noch das Gesicht und die Figur von Eddy Constantine in Godards Film Allemagne Neuf Zero, Deutschland im Jahre 90, von Gesicht und Figur zusammengehalten wurde, gibt es keine solche Figur mehr, keine solchen Charaktere in allen von Godards späteren Filmen. Sie zielen auf Bilder, die noch etwas zeigen. Die Differenz Virtualität-Realität existiert dabei für Godard nicht. Ob die Wörter, die dabei gesprochen werden aus dem Mund einer Person kommen oder aus dem Off ist egal. Macht ebenso keinen Unterschied. Die Wörter versuchen, sich der Dinge und Bilder zu bemächtigen, sie starten aber auch Gedanken, Wahrnehmungen, Ideen. Das italienische Kino z.B. wurde so groß, sagt Godard, weil "die Sprache Ovids und Vergils, Dantes und Leopardis in die Bilder eingegangen ist." (Das sagte er dazu, daß die italinischen Regisseure ihren Ton immer getrennt vom Bild aufgenommen haben.)

Die Bilder, die einst die Kraft hatten, der Bemächtigung durch Wörter zu widerstehen, haben diese Kraft verloren. Wahrscheinlich durch die Bildwillkür und Bildgeschwätzigkeit des Fernsehens, aber auch des Lebens (wie das an dieser dunklen Stelle angedeutet wird). Was die Jungen interessiert: eine Syn-Version von Matrix im eigenen Dialekt, also Plattdutsch.

All diese Filme, Hollywood-Drehbuchfilme, lügen über die aktuelle Geschichte, den Zustand der europäischen Zivilisation angesichts ihrer Duldung des bosnischen Massakers, dessen Realität man aber nicht nähern kann ohne den Weg durch Homer, durch Dante, durch die geraubten jüdischen Bilder von Weltkrieg Zwei, durch den Konflikt Israel-Palästina, und den Weg durch Schriften und Gesichter wie die von Hannah Arendt.

Der letzte Teil von Notre Musique macht mit dem Dante dann Ernst, heisst Paradiso. Man sieht Olga im Jenseits an einem Fluß spazieren. Der Eingang zu diesem Paradiso wird von US Marines, die dort fischen, mit Gewehren bewacht, während Godard zu Hause die Nachricht von Olgas Tod erfuhr, wie er mit seinen üBlumenkästen hantierte, die gleichzeitig sein Garten sind und Gräberblumen für die tote Olga. Alles ist immer mehr als seine Oberflächen. Als würde von mindestens zwei Orten aus zugleich gesehen und gedacht. In dem Histoire du Cinema gibt es den Satz, "Die Perspektive war die Erbsünde der abendländischen Malerei. Niepce und Lumiere waren deren Erlöser." Das heisst, Erlöser vom Subjekt, das sie selbst als Mittelpunkt des Erdüberblicks setzte, Fluchtpunkt seiner Unterwerfungsvorgänge.

Die Filme Godards sind Demonstrationen dessen, was man ein unsubjektivisches, unperspektivisches Sehen nennen könnte, so etwas wie der Versuch, am Ende all dieser Technologien die Perspektive als Dominanzpunkt aufzulösen, wobei auch Realität-Fiktion, das ist ja ein Punkt, der sich nur unterscheidenen lässt vom Perspektivischen aus, schlüssig wegfällt. Also mir leuchtet das vollkommen ein, daß keine Differenz zwischen sogennanten Virtualitäten und Realitäten, jedenfalls in Bildern besteht.

Danke.

Last update: 18 April 2010 | Impressum—Imprint