oturn home > Gespaltener Christlicher Glaube > II. Die Deutung der Person Jesu > 2. Das widersprüchliche Bild Jesu im neuen Testament

Weiter zu Teil II.3 Der Tod Jesu

Zurück zu Teil II.1 Die Hypothese

Zum Index von Teil II. Die Deutung der Person Jesu

Zum Hauptindex


II.2. Das widersprüchliche Bild Jesu im neuen Testament

Wir kommen nicht um die Tatsache herum, dass uns im Neuen Testament von der Person Jesu ein in sich widersprüchliches Bild vermittelt worden ist.

In Jesus begegnen uns zwei völlig verschiedene Personen, die ihrem Wesen nach auseinanderfallen. Den Charakter der einen Person hat uns die Offenbarung des Johannes am prägnantesten im Bilde des zornigen Richters festgehalten (Offenbarung 19, 11ff). Die andere Person Jesu aber lässt sich mit der ersteren gar nicht vereinbaren, da sie Drohung und geistigen Zwang als Mittel der Beeinflussung des Menschen scharf zurückweist.

Die theologische Erklärung dieser Persönlichkeitsspaltung als Ausdruck der Paradoxie des Gottmenschentums Jesu hat der Glaubwürdigkeit der christlichen Botschaft von jeher geschadet. Denn in der Verkündigung glaubte man daher das Recht zu haben, in Anpassung an Zeitumstände und die jeweiligen Hörer auf die eine oder die anders Person Jesu den Akzent zu legen, ohne zu merken, wie sehr diese freigebige Austeilung von Gnade oder Zorn aus persönlichem Ermessen erfolgte und im Grunde nur kirchlichen Machtwillen dokumentierte.

Es ist nicht schwer, festzustellen, in welcher Person Jesus uns in seiner Lebenswirklichkeit entgegentritt. Der kurze Bericht über eine Begebenheit gibt darüber Aufschluss.

Bei einem Durchzug durch Samaria wollen die Jünger für Jesus und sich selbst in einer samaritischen Ortschaft Quartier machen. Die Samariter aber verweigern die Aufnahme. Daraufhin fordern zwei seiner Jünger ihn auf, er solle Feuer vom Himmel fallen lassen, um die unbotmäßigen Samariter zu vernichten. Sie weisen darauf hin, dass Elia ja auch so mit seinen Gegnern verfahren sei.

Jesus weist dieses Ansinnen ganz kurz mit den Worten zurück: "Wisst ihr nicht, welches Geistes Kinder Ihr seid?" (Lukas 9, 52ff).

Dieser Bericht ist bemerkenswert, weil hier beide Personen in Erscheinung treten und miteinander in Konflikt geraten. Die eine Person formt sich aus einer Erwartungsvorstellung der Jünger, die in Jesus den Messias sehen und nun verständlicherweise auf ihn das Bild übertragen, dass man sich in spätjüdischer Zeit vom kommenden Messias gemacht hat. Den Messias aber stellte man sich als einen zweiten Elia vor, der in vernichtendem Zorn alle Gegner Jahwes vertilgen würde. Die Jünger sind vermutlich sehr enttäuscht gewesen, dass Jesus es ablehnt, sich ihrer Vorstellung entsprechend als Messias zu erweisen.

Es besteht wohl kein Zweifel, Jesus weist seine Jünger in der Gegenfrage ,,Wisst ihr nicht, welches Geistes Kinder ihr seid?'' auf eine grundsätzliche Entscheidung hin, die er gefällt hat und an die nun auch seine Jünger gebunden sind. Er zieht einen klaren Trennungsstrich zwischen seinem Geist und dem Geist des Elia, und damit zwischen sich und Jahwe, unter dessen Dienern Elia einer der zugleich treuesten und eifrigsten war.

Jesus hat weder seine Freunde noch seine Feinde über die Art seines Geistes im Unklaren gelassen. Was er den Menschen zu sagen hatte, lässt sich am Gleichnis von den beiden verlorenen Söhnen gut verdeutlichen (Lukas 15, 11ff).

Der Vater, der seinem Sohn die Freiheit gibt, auch die Freiheit, sein Leben selbst zu zerstören, bleibt dem Sohne zugewandt, obwohl der Sohn sich von ihm gelöst und abgekehrt hat. Die Rückkehr des Sohnes hat aber, wie selbstverständlich, zur Folge, dass der Vater ihn wieder aufnimmt, und zwar mit einer vorbehaltlosen Freude. Mit diesem Vaterbild wollte Jesus das Wesen Gottes in seinem Verhältnis zum Menschen kennzeichnen und hat zugleich damit den Geist Jahwes als Geist Gottes in Frage gestellt. Zwei völlig verschiedene Geistwesen stehen sich gegenüber. Die Willensäußerungen Jahwes erschöpfen sich zumeist, soweit sie sich auf den Menschen beziehen, in Reaktionen auf gute oder böse Taten des Menschen, auf seine Frömmigkeit oder Gottlosigkeit. Auch sein Vergebungs- und Gnadenhandeln sind so zu verstehen. Wenn es in den Psalmen heißt: "Barmherzig ist der Herr, geduldig und von großer Güte" (Psalm 103, 8), so könnte das aus dem Geiste Jesu gesprochen worden sein. Aber schon der nächste Vers macht den Unterschied zwischen Jesus und Jahwe deutlich: "Er wird nicht immer hadern noch ewiglich Zorn halten." Die beiden Reaktionsweisen Jahwes stehen hier unmittelbar nebeneinander: Gnade dem bußfertigen Sünder, wobei es im Ermessen Jahwes steht, ob und wann diese Gnade dem Sünder zuteil wird, Zorn und Vernichtung aber dem ungehorsamen und gottlosen Menschen.

Dem Gott Jesu sind Reaktionen auf irgendeine Tat des Menschen fremd. Von menschlicher Vorstellung her könnte man schon von einer Unfähigkeit Gottes, auf eine menschliche Tat zu reagieren, sprechen, wenn man sich am Gleichnis der verlorenen Söhne Gottes Handeln vergegenwärtigt.

Das Handeln Gottes kann an diesem Beispiel als eine gradlinige, nicht umkehrbare Aktivität ausgewiesen werden. Der Vater reagiert nicht auf den Fortgang des Sohnes, indem er seine Konsequenzen zieht und dem Sohn seiner Unwillen oder seine Enttäuschung zu verstehen gibt. Das Elend des Sohnes wird weder auf den Zorn des Vaters zurückgeführt, noch hat es eine Reaktion des Vaters zur Folge. Auch die gütige Wiederaufnahme des Sohnes kann nicht als ein reaktives Handeln des Vaters angesehen werden. Er reagiert nicht auf die Reue des Sohnes mit Güte, sondern die Reaktion des Sohnes in seiner Reue öffnet dem Vater die Möglichkeit zum Handeln, auf das sein Wesen auch während der Abwesenheit des Sohnes gerichtet war.

Im Johannes-Evangelium wird dieses dem Menschen völlig unangemessene und daher auch befremdliche Handeln Gottes mit der Eigenschaft des Lichtes verglichen. Das Licht leuchtet und macht die Finsternis hell (Johannes 1, 5). Sofern es sich um eine außerirdische Lichtquelle handelt, kann man sie nicht abdunkeln, aber man kann sich ihr entziehen. Ein Mensch, der sich dem Licht entzieht, muss damit rechnen, dass er in Kälte und Dunkelheit hineingerät. Wenn er nun unsinnigerweise behaupten wollte, es liege am Licht, dass ihm so unbehaglich zumute sei, dann verwechselt er Ursache und Wirkung und kann im Bewusstsein weiter frieren, dass ihn großes Unrecht oder auch eine gerechte Strafe getroffen habe. Sobald er sich aber wieder in den Strahlungsbereich des Lichtes begibt, wird ihm unversehens und ohne einschränkende Bedingung Licht und Wärme wieder zuteil.

Das Johannes-Evangelium bezeichnet Jesus selbst als das Licht und legt ihm so eine Eigenschaft bei, die dem Menschen fehlt. Denn der Mensch ist ja unfähig zu einem ungebrochenen aktiven Handeln im Geist der Güte. Hat der Verfasser des Johannes-Evangeliums richtig gesehen, oder liegt hier der Versuch vor, Jesus in idealisierender Weise Eigenschaften eines so verstandenen Gottes beizulegen? Hier haben Bultmann und seine Schüler sicher recht, wenn sie darauf hinweisen, dass uns die Verfasser der Evangelien nur ein Bild Jesu vermitteln können, das ihrem Glauben entsprach. Der irdische Jesus war den Menschen, die die Evangelien verfasst und bearbeitet haben, nicht mehr bekannt. Zudem war ihnen an einem historischen Bericht über das Leben Jesu überhaupt nichts gelegen. Es wäre sicher verfehlt, den irdischen Jesus mit dem erhöhten Herrn des johannäischen Christus gleichzusetzen. Man darf nicht einfach ausklammern, dass Jesus ein Mensch gewesen ist. So lässt sich feststellen, dass er sich zunächst vom Glauben seines Volkes hat lösen müssen, bevor er im Gegensatz zum jüdischen Glauben seinen eigenen Weg gehen konnte. Die Antwort, die er der hilfesuchenden Kanaanäerin gab, zeigt ihn noch völlig befallen in den Vorstellungen des Judentums, das dem Heiden mit Verachtung gegenüberstand. Nur so kann er der Frau sagen: "Ich bin nur zu den verlorenen Schafen vom Hause Israel gesandt - es ist nicht gut, den Kindern das Brot zu nehmen und es vor die Hunde zu werfen" (Matthäus 15, 24ff und Markus 7, 24ff).

Aber gerade an diesem Bericht sehen wir, wie er über die Enge jüdischer Gläubigkeit hinauswächst. Der Glaube der Kanaanäerin macht ihn zur Hilfe bereit.

In der Erzählung vom barmherzigen Samariter begegnet uns dann ein anderer Jesus, der es wagt, seinem Volk einen verachteten Samariter als Vorbild zu empfehlen (Lukas 10, 30ff).

Eine solche psychologische Deutung der Person Jesu auf Grund der Evangelienberichte mag gewagt sein, vielleicht hat sie nur hypothetischen Wert. Aber man wird an der Annahme festhalten müssen, dass Jesus sich im Wissen um das eigentliche Wesen Gottes nicht in die Rolle eines zweiten Elia hat drängen lassen. Er jedoch musste erfahren, das seine Jünger bis zuletzt an ihren Messiaserwartungen, so wie sie im jüdischen Volk damals lebendig waren, festhielten.

Das Petrusbekenntnis (Markus 8, 27f .) und der Bericht vom Einzug in Jerusalem (Markus 11, 1f.) gehen auf die ältesten Schichten des Evangeliums nach Markus zurück, die noch von den Bedürfnissen der frühen Gemeinde freiblieben, das Evangelium im Sinne eines mythisch bestimmten Glaubens zu erweitern und auszugestalten. Wir dürfen also annehmen, dass die Anhänger Jesu von ihm das Kommen des messianischen Reiches nach jüdischer Vorstellung erwarteten.

Vieles musste ihnen an diesem Mann enttäuschend unverständlich bleiben, so auch seine Weigerung, sich öffentlich als Messias zu bekennen. Als er nach der Tempelreinigung gefragt wird, aus welcher Vollmacht er das getan habe, gibt er eine ausweichende Antwort (Markus 11, 27ff).

Auch in der Gemeinschaft mit Jesus haben seine Jünger an den tiefgewurzelten religiösen Vorstellungen ihres Volkes festgehalten. Man könnte vermuten, dass sie gar nicht fähig waren, das Gleichnis vom verlorenen Sohn in seinem revolutionären Charakter zu verstehen. Es wird ihnen wohl kaum aufgegangen mein, dass das Vaterbild in diesem Gleichnis in einem unüberbrückbaren Gegensatz zum Jahwe-Glauben steht. Sie waren also nur imstande, das in sich aufzunehmen, was ihren Vorstellungen entsprach. Das wesentlich neue aber, das von Jesus gelehrt und gelebt wurde, haben sie ihrem Verstehensvermögen entsprechend assimiliert.

Nicht zuletzt das Unverständnis seiner eigenen Leute wird Jesus davon überzeugt haben, dass sein Tod unvermeidlich war, wenn er sein Volk aus der Knechtschaft eines mächtigen Glaubens lösen wollte, der durch einen Mord in der Urzeit eine so tyrannische Macht über die Menschen gewonnen hatte.


Weiter zu Teil II.3 Der Tod Jesu

Zurück zu Teil II.1 Die Hypothese

Zum Index von Teil II. Die Deutung der Person Jesu

Zum Hauptindex

Last update: 31 Mai 2009 | Impressum—Imprint