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Von Baudelaire zu Bacharach

Wir saßen uns auf zwei unordentlichen langen Stuhlreihen (typische hölzerne Schulstühle mit Füssen, die wie ein umgedrehtes kursives "T" geformt sind) in einem schrabbeligen Raum im Abstand von ca. 2 Metern gegenüber, etwa 30-40 Leute. Einige hatten die Stühle umgedeht und besaßen sie wie einen Sattel, die verschränkten Arme auf die Lehne gelegt. Andere fläzten sich, kippelten, oder hatten ihre Füße auf einem freien Stuhl oder ihrer Tasche. Gerade hatte eine Teilnehmerin einen Redebeitrag beendet, der sich über Minuten im gleichen Ton einer aufgeregten Rechtfertigung hingezogen hatte. In eben dem Moment, als ein anderer Sprecher, der schon zuvor nicht zugehört, sondern sich innerlich vorbereitet und so quasi aufgepumpt hatte, das Wort ergreifen wollte, sagte ich halblaut "Von Baudelaire zu Bacharach", als wollte ich den Vorbeitrag geringschätzend zusammenfassen oder sogar in dieser Zusammenfassung kritisieren, und erntete - ja was tut man sonst mit Lachern? - ein paar herzhafte Lacher. Ich dachte noch, ich hätte es zu leise gesagt, aber es war also akustisch durchgekommen. Das Lachen gehört natürlich dazu, es zeigt, dass einige irgendetwas verstanden haben oder verstanden zu haben glauben, und der größere Rest, der nichts verstanden hat, schweigt, schon um sich keine Blöße zu geben.

Baudelaire photographed by Nadar
Baudelaire / Nadar

Es war nur gut, dass der Gestus der hingeworfenen Zwischenbemerkung mich vor Nachfragen schützte, weil ich selber den Sinn meiner Bemerkung nicht verstand. Sie war mir lediglich unvermittelt durch den Kopf gegangen und ich hatte sie ohne Zögern ausgesprochen. Meine Vorrednerin hatte weder von Baudelaire noch von Bacharach, nicht einmal von Dichtung oder Musik gesprochen. Ich hatte überhaupt nicht zugehört, ich wusste nicht im Entferntesten, wovon sie gesprochen hatte. Trotzdem schien die Bemerkung etwas getroffen zu haben. Ich war plötzlich ein Organ irgendeiner diffusen Stimung geworden und schämte mich nicht schlecht dafür. Gleichzeitig empfand ich eine Verpflichtung, den Sinn meiner Bemerkung nun selbst zu ergründen. Ich wusste nicht einmal genau, was Burt Bacharach eigentlich für Musik geschrieben hatte, wusste nur, dass er bei Leuten in irgendeiner Clubszene, Loungeszene, oder Tanzmusikszene ziemlich angesagt war oder vor einigen Jahren gewesen war. Baudelaire hatte ich ohne sonderliche Begeisterung vor 20 Jahren gelesen. Zuletzt war er mir als Beispiel des 'Poète maudit', der erst spät einen Künstlerruhm als Lohn einer Aristokratie des Nicht-Kommunizierens erntet, in Bourdieus "Die Regeln der Kunst" über den Weg gelaufen. Die Vorstellung, die ich von ihm hatte, war nicht geprägt von der lässigen weichen und dennoch Selbstkontrolle ausstrahlenden Fotografie Nadars, in der die rechte Hand des Dichters in die Jackenknopfleiste gesteckt ist, sondern von der späteren Etienne Carjats, die mit dem verbissenen Mund und dem bohrenden, glimmenden Blick.

Baudelaire photographed by Carjat
Baudelaire / Carjat

Was sollte also diese Bemerkung? Man musste sie wohl verstehen als schäbige Analogie, als konstatierte ich einen Abstieg von einer Kulturhöhe in die Niederungen der Unterhaltung. Aber es musste ja noch eine andere Verbindung geben außer der Tatsache, dass beide Künstler mit B anfingen, bzw die Initialen C.B. und B.B. hatten. Wenn man die Reihe fortsetzte, käme man mit A.B. an das Ende, den Anfang des Alphabets. Anton Bruckner? Alban Berg? Arnold Böcklin? Keine gute Fährte. "Bacharach" trug in sich ein hallendes, krachendes, lautmalerisches Echo, wie ein Umfallen schwerer Kulissen, das in einem leeren Saal widerhallt. Burt, da gab es noch das Paar Ernie und Bert und Burt Lancaster, mit dem angedeuteten, irgendwie starren Lächeln.

Baudelaire photographed by Carjat
Bacharach - in 1997 issue
of Discoveries Magazine

Sicher hatte ich auch vor B angeben wollen, der entweder neben mir oder mir gegenüber sass. B hatte noch seinen U förmigen Bart, das umgekehrte U, das nach dem Essen eine einfache Säuberung des Kinns gestattet. Alle Züge dessen, was die Engländer nicht ohne Sympathie anal-retentive nennen. Ein Alter ego? Er nahm mit Recht, doch in einer nervtötend pedantischen Art, eine Aufzählung von sechs zusammengewürfelten Punkten eines Vorredners auseinander. Sein Standpunkt beruhte auf solidem hands-on und take-no-prisoners Materialismus und einer Prüfung auf Stringenz und Konsistenz, die er für allgemein verbindliche Minimalkriterien öffentlicher Rede hielt. Es war allzu leicht zu zeigen, dass sich die Punkte teilweise widersprachen oder zumindest keine gute Argumentation abgaben. (In seinem eigenen Leben erlaubte B sich dennoch gelegentlich "Fäkalsprache", hielt sich aber dadurch für gegen Kritik gefeit, dass er ihre Benutzung offen anzeigte und ironisch kommentierte. Zu seine Schülern sagte er, nach der Verwendung des Wortes Arsch in der Wendung X-geht-das-am-Arsch-vorbei, "aber sagt es nicht der Schülerzeitung, sonst drucken die das und dann sagen alle, der B. benutzt in Unterricht Fäkalsprache" - eine deutliche Aufforderung, eben diesen Ausspruch als Kleinod (Kleinkot) zu behandeln und weiterzugeben. Er wurde getreulich abgedruckt und später selbst noch in der Lokalzeitung schmunzelnd der Länge nach zitiert. Das Spielen mit dem eigenen Kot, der eigenen Sprache, ist eine anerkannte Heldentat, wenn das Material nur fest definiert und sauber abgedrückt ist und das Hantieren mit einem Augenzwinkern geschieht. Eine stolze Wurst, die nicht schmiert, wird gerne weitergereicht. Aber ich schweife ab.)

In diesem Moment klingelte mein Handy, dass ich erst seit 2 Tagen hatte, weswegen ich etwas linkisch auf das Klingeln reagierte. Ich stand auf und entfernte mich von der Gruppe, um das Gespräch entgegenzunehmen, da ich das Klingeln nicht beenden konnte. Es war die Frau von der Autovermietung, die mich daran erinnerte, dass ich noch am heutigen Nachmittag den Kleinwagen in Hamburg zurückzugeben hatte, da er vorbestellt sei. Das brachte mich in zeitliche Verlegenheit – es war schon Mittag – , und ich berechnete, wann ich zurück sein konnte. Ich merkte, dass sie neben mir im Auto saß, also extra nach Berlin gefahren war, und dabei noch immer mit mir telefonierte. Und M war auch dabei, sie saß zwischen uns! "Warum sind Sie nach Berlin gefahren? Sie hätten mich doch auch von Hamburg aus anrufen können!", rief ich aus. Darauf hatte sie eine charmante Antwort.

Last update: 31 May 2005 | Impressum—Imprint